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Arbeitssuchende Unionsbürger sind nicht vom Anspruch auf Sozialhilfe ausgeschlossen

Arbeitssuchende Unionsbürger haben Anspruch auf Sozialhilfe als Ermessensleistung.

So entschied das Sozialgericht Kassel in einem Eilverfahren.

Im Vorfeld des Verfahres hatte ein bulgarischer Staatsangehöriger, der mit seiner Ehefrau seit 2012 in Deutschland lebt, und seitdem ALG II erhalten hatte, einen Weiterbewilligungsantrag gestellt.

Zum Hintergrund: Sämtliche Verwandten des Ehepaares leben zum Teil wesentlich länger in Deutschland, insbesondere die Schwester der Ehefrau des Antragstellers, die etwa 250 km entfernt wohnt. Das Ehepaar hat zudem ein Pflegekind bei sich aufgenommen.
Die Mutter der Ehefrau des Antragstellers ist pflegebedürftig.

Der Weiterbewilligungsantrag wurde durch das Jobcenter mit der Begründung abgelehnt, der Antragsteller halte sich nur zum Zwecke der Arbeitssuche in Deutschland auf, im Übrigen sei der Antragsteller nicht materiell freizügigkeitsberechtigt. Demnach sei nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts aus dem Dezember 2015 (Az. B 4 AS 44/15 R, v. 03.12.2015) von einem Leistungsausschluss für Leistungen nach dem SGB II auszugehen.

Hiergegen wandte sich der Antragsteller mit Widerspruch und dem zugleich gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach dem Sozialgerichtsgesetz, und beantragte mit letzterem, dem Jobcenter aufzugeben, dem Antragsteller Leistungen nach dem SGB II zu gewähren.

Im Laufe des Verfahrens wurde der für die Sozialhilfe zuständige Landkreis beigeladen.

In einem – für das Verfahren der Einstweiligen Anordnung – ungewöhnlich langen Beschluss hat das Sozialgericht Kassel den beigeladenen Landkreis zur Gewährung von Sozialhilfe sowie Kosten der Unterkunft und Heizung in der gesetzlichen Höhe an den Antragsteller verpflichtet.

Dabei nimmt das Sozialgericht mit einer zu der des Jobcenters im Wesentlichen gleichlautenden Begründung einen Leistungsausschluss nach § 7 Abs. I S. 2 Nr. 2 SGB II an. Es sei insofern kein anderes Aufenthaltsrecht als das zur Arbeitssuche gegeben, insbesondere keines, dass sich von einem Angehörigen des Ehepaars ableiten ließe. Es sei insofern erforderlich, dass mit dem Familienangehörigen zumindest vorübergehend eine gemeinsame Wohnung bestehe oder bestanden habe. Nur dann sei das Merkmal des „Nachziehens“ bzw. „Begleitens“ im Sinne des § 3 Abs. I bzw. § 4 Freizügigkeitsgesetz/EU erfüllt.

Die Besonderheit des Beschlusses des Sozialgerichts Kassel liegt nun darin, dass dem Antragsteller ein Anspruch auf Sozialhilfe zugestanden wird. Insoweit setzt sich das Gericht von Entscheidungen anderer Gerichte, insbesondere meherer Landessozialgerichte, ab, die im Nachgang zu dem benannten Urteil des Bundessozialgerichts auch einen Anspruch auf Sozialhilfe für EU-Bürger ausgeschlossen sahen.

Hier jedoch geht das Gericht davon aus, dass es das Sozialstaatsprinzip gebiete, EU-Bürgern Sozialhilfe zu gewähren. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebiete eine verfassungskonforme Auslegung des § 23 Abs. I S. 3 SGB XII dahingehend, dass ein genereller und systemübergreifender Leistungsausschluss für hilfebdürftige und dauerhaft in Deutschland lebende Unionsbürger nicht vorgesehen ist.

Die Rechtslage im Bezug auf den Anspruch von Unionsbürgern auf ALG II bzw Sozialhilfe ist durch die Entscheidung des BSG aus dem letzten Jahr etwas klarer geworden. Einerseits steht die Entscheidung des BSG im Einklang mit dem EuGH, der bereits zuvor den Leistungsausschluss für Unionsbürger als europarechtskonform angesehen hatte (RS C-67/14 ‚Alimanovic‘).
Seitdem sind diverse Urteile von Landessozialgerichten ergangen, die den Anspruch auf Sozialhilfe ebenfalls verneinen, während das BSG diesen noch ausdrücklich zugelassen hatte.

Das Sozialgericht fügt in dieser Lage in konsequenter Anwendung des Sozialstaatsprinzips der Diskussion um den Leistungsanspruch von Unionsbürgern einen neuen Aspekt hinzu.

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Autor des Artikels

Ann-Kathrin Dreber